Das Ego des Universums

Srila Prabhupada über C.G. Jung und Psychoanalyse

| 1. Juli 2012 | 0 Kommentare

Carl Gustaf Jung (1875-1961), der weltbekannte Psychologe

Hayagriva Dasa (alias Dr. Howard Wheeler): C.G. Jung konnte erkennen, dass die Seele immer nach dem Licht strebt. Er schrieb über den Drang der Seele, sich über die Dunkelheit zu erheben. Er bemerkte die angestauten Gefühle in den Augen primitiver Menschen und eine bestimmte Traurigkeit in den Augen der Tiere. Er schrieb: „In den Augen von Tieren gibt es eine Traurigkeit, von der wir nie wissen, ob sie entweder mit der Seele des Tieres verbunden oder eine ergreifende Botschaft ist, die uns aus dieser Daseinsform etwas zu berichten hat.”

Srila Prabhupada: Ja. Jedes Lebewesen, einschließlich des Menschen, ist dem Wesen nach ein Diener. Deshalb sucht jeder nach einem Meister; das ist unsere natürliche Neigung. Man kann oft beobachten, dass ein junger Hund versucht, bei einem Jungen oder einem Mann Zuflucht zu finden. Das ist seine natürliche Tendenz. Er sagt praktisch: „Gewähre mir Zuflucht. Nimm mich als deinen Freund an.” Ein Kind und auch ein erwachsener Mensch möchte eine Zuflucht haben, um glücklich zu sein. Das ist unsere wesensgemäße Position. Wenn wir die menschliche Lebensform erlangt haben, wenn unser Bewusstsein entwickelt ist, sollten wir Krishna als unsere Zuflucht und unseren Führer annehmen. In der Bhagavad-gita sagt uns Krishna, dass wir uns an Ihn wenden sollen, wenn wir Zuflucht und Führung suchen. Sarva dharman parityajya mam ekam saranam vraja. Das ist die letztliche Unterweisung der Bhagavad-gita.

Hayagriva Dasa: Jung würde sagen, unser Verständnis von Krishna als höchster Vater und als Ursache aller Ursachen sei ein archetypisches Verständnis, das allen Menschen gemeinsam ist. Alle Menschen hätten die Tendenz, jemand als ihren höchsten Vater und die ursprüngliche Ursache anzusehen und würden sich diese Person verschieden vorstellen. Der Archetypus sei aber der gleiche.

Srila Prabhupada: Ja, er ist genau der gleiche; Krishna, Gott, ist der höchste Vater. Ein Vater hat viele Söhne, und alle Menschen sind Söhne Gottes, Kinder desselben Vaters. Dies ist eine Erfahrung, die allen Menschen zu allen Zeiten gemeinsam ist.

Hayagriva Dasa: Jung glaubte, viele unterbewusste Faktoren würden unsere Persönlichkeit bestimmen, und deshalb sollten wir uns dieser Faktoren bewusst werden. Andernfalls seien wir mehr oder weniger Sklaven unseres Unterbewusstseins. In der Psychoanalyse geht es nun darum, möglichst viele Aspekte des Unterbewußtseins an die Oberfläche zu befördern, sodass wir uns mit ihnen auseinandersetzen können.

Srila Prabhupada: Genau das lehren wir. Wir sagen, dass sich die Seele gegenwärtig in einem schlafenden Zustand befindet, und wir rufen die Seele: „Bitte wach auf! Bitte wach auf! Du bist nicht dieser Körper!” Es ist zwar möglich, einen Menschen zu diesem Bewusstsein zu bringen, bei anderen Lebewesen aber geht es nicht. Ein Baum z.B. ist auch ein bewusstes Wesen, aber er ist so von Materie eingehüllt, dass er nicht zum Krishna-Bewusstsein erhoben werden kann. Der Mensch hat im Gegensatz dazu ein relativ hoch entwickeltes Bewusstsein, das individuell verschieden in unterschiedlichem Maße manifestiert ist. Niedere Lebensformen befinden sich mehr oder weniger in einem traumähnlichen Zustand.

Hayagriva Dasa: Während Freud sexuell orientiert war, war Jung mehr oder weniger spirituell orientiert. Jung schreibt in seiner Autobiographie Erinnerungen, Träume, Reflexionen: „Ich stellte fest, dass alle meine Gedanken um Gott wie die Planeten um die Sonne kreisen und von Ihm unwiderstehlich angezogen werden. Ich würde es als die größte Sünde erachten, würde ich dieser Kraft irgendeinen Widerstand entgegenstellen.” Jung sieht alle Geschöpfe als Teile Gottes und zur selben Zeit als einzigartig in sich selbst. Er schreibt: „Der Mensch kann sich mit keinem anderen Geschöpf vergleichen; er ist kein Affe, keine Kuh, kein Baum. Ich bin ein Mensch. Aber was bedeutet es, ein Mensch zu sein? Wie jedes andere Wesen, bin ich ein Splitter der unbegrenzten Gottheit…“

Srila Prabhupada: Es ist auch unsere Philosophie, dass wir ein Bestandteil Gottes sind, genauso wie die Funken ein Teil des Feuers sind.

Hayagriva Dasa: Jung schreibt weiter in seiner Autobiographie: „Es war Gehorsam, was mir Gnade brachte… Man muss sich völlig Gott überlassen; es kommt auf nichts anderes an, als Seine Wünsche zu erfüllen. Alles andere ist töricht und bedeutungslos.”

Sri Srimad A.C.Bhaktivedanta Swami Prabhupada (1896-1977), der Gründer-Acharya der Internationalen Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein

Srila Prabhupada: Ja, sehr gut. Sich Gott hinzugeben ist wirkliches spirituelles Leben. Sarva dharman parityajya. Sich Gott hinzugeben bedeutet, alles anzunehmen, was für die Sache Gottes förderlich ist und alles abzulehnen, was nachteilig ist. Der Gottgeweihte ist stets davon überzeugt, dass Gott ihm allein Schutz gewähren wird. Er bleibt demütig und bescheiden und betrachtet sich als ein Mitglied der Familie Gottes. Das ist echter spiritueller Kommunismus. Die Kommunisten denken „Ich bin ein Mitglied einer bestimmten Gemeinschaft”, aber die Pflicht des Menschen besteht darin, zu denken: „Ich bin Mitglied von Gottes Familie.” Gott ist der höchste Vater, die materielle Natur ist die Mutter, und die Lebewesen sind alle Söhne Gottes. Überall sind Lebewesen auf dem Land, in der Luft und im Wasser. Zweifelsohne ist die materielle Natur die Mutter. Erfahrungsgemäß kann keine Frau ohne das Zutun eines Mannes Kinder hervorbringen. Es ist absurd zu denken, ein Kind könne ohne einen Vater geboren werden. Es muss einen Vater geben. Und der höchste Vater ist Gott. Wer sich im Krishna-Bewusstsein befindet, erkennt und versteht, dass die Lebewesen in der Schöpfung eine spirituelle Familie sind, die von dem einen höchsten Vater stammt.

Hayagriva Dasa: Was die Person Gottes anbelangt, so schreibt Jung: „Nach der Bibel hat Gott eine Persönlichkeit, und Er ist das Ego des Universums, ebenso wie ich selbst das Ego meines psychischen und physischen Daseins bin.”

Srila Prabhupida: Ja. Der Einzelne ist sich zwar seines eigenen Körpers bewusst, aber nicht der Körper anderer. Außer der individuellen Seele, d.h. dem individuellen Bewusstsein im Körper, gibt es noch den Paramatma, die Überseele, das Überbewusstsein, das im Herzen eines jeden gegenwärtig ist. Dies wird in der Bhagavad-gita (13.3) besprochen:

ksetrajnam capi mam viddhi
sarva ksetresu bharata
ksetra ksetrajnayor jnanam
yat taj jhanam matam mama

„Du solltest verstehen, dass ich auch der Kenner in allen Körpern bin, und diesen Körper und seinen Besitzer zu verstehen, wird Wissen genannt.”

Hayagriva Dasa: Was seine Schwierigkeiten, die Persönlichkeit Gottes zu verstehen, betrifft, so schreibt Jung: „Hier begegnete ich einem gewaltigen Hindernis. Schließlich deutet Persönlichkeit mit Sicherheit auf Charakter hin. Nun ist Charakter aber etwas Bestimmtes und nicht etwas Vages; mit anderen Worten bezieht sich „Charakter” auf ganz spezifische Eigenschaften. Wenn aber Gott alles ist, wie kann Er dann trotzdem einen unterscheidbaren Charakter besitzen? … Welche Art von Charakter oder welche Art von Persönlichkeit besitzt Er?”

„Der Charakter, das Wesen Gottes, ist transzendental und nicht materiell“

Srila Prabhupada: Der Charakter, das Wesen Gottes, ist transzendental und nicht materiell. Auf diese Weise besitzt Er Eigenschaften. Zum Beispiel ist Er sehr gütig zu Seinen Geweihten; diese Güte kann als eines Seiner charakteristischen Merkmale oder Attribute angesehen werden. Welche Eigenschaften oder Charakteristika wir auch immer haben mögen, sie sind nichts weiter als winzige Manifestationen der Eigenschaften und Charakteristika Gottes. Gott ist der Ursprung aller Eigenschaften und Charaktermerkmale. In den shastras, den vedischen Schriften, wird darauf hingewiesen, dass Er auch Verstand, Sinne, Gefühle, Sinneswahrnehmung, Sinnenbefriedigung und alles andere hat. Er verfügt über all dies in unbegrenztem Maße. Und weil wir Seine Bestandteile sind, besitzen wir Seine Eigenschaften in winzigem Ausmaß. Die ursprünglichen Eigenschaften sind in Gott und manifestieren sich in winzigem Maße in uns.

Gemäß den Veden ist Gott eine Person wie wir, allerdings ist Seine Persönlichkeit unbegrenzt. Genauso wie mein Bewusstsein auf diesen Körper begrenzt ist und Sein Bewusstsein das Überbewusstsein in jedem Körper ist, so bin ich als Person auf diesen bestimmten Körper begrenzt und ist Er die Überperson, die in allem lebt. Wie Krishna in der Bhagavad-gita (2.12) zu Arjuna sagt, bestehen die Persönlichkeit Gottes und die Persönlichkeit der individuellen Seelen ewig. Krishna erklärt Arjuna auf dem Schlachtfeld: „Niemals gab es eine Zeit, zu der ich nicht existierte, noch du, noch all diese Könige; noch wird in der Zukunft einer von uns aufhören zu sein.” Sowohl Gott als auch die Lebewesen sind ewige Personen. Allerdings ist die Persönlichkeit Gottes unbegrenzt und die Persönlichkeit des Individuums begrenzt. Gott verfügt über unbegrenzte Macht, unbegrenzten Reichtum, unbegrenzten Ruhm, unbegrenztes Wissen, unbegrenzte Schönheit und unbegrenzte Entsagung. Unsere Macht, unser Wissen, unser Ruhm usw. aber sind begrenzt, d.h. endlich. Darin liegt der Unterschied zwischen den beiden Persönlichkeiten.

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Dieser Gesprächsmitschnitt zwischen A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada und seinem Schüler Hayagriva Dasa (Dr. Howard Wheeler) stammt aus dem Jahre 1973.

Lesen Sie auch: Sex als Ersatz für Gott – Der weltberühmte Psychologe C.G. Jung im Lichte der Veden

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Bilder: © Wie Es Ist (Ausgabe 1982), Bhaktivedanta Booktrust, Gour-Ni-Times Archives

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