Fußball-Boykott für Tiere?

Über eine gutgemeinte, aber oberflächliche Protestaktion

| 23. Juni 2012 | 2 Kommentare

Wer ist nicht schon über den Aufruf zum Boykott der Fußball-Europameisterschaft gestolpert? Alle deutschen Facebook-Mitglieder (das sind mittlerweile rund 24 Millionen) haben mit großer Wahrscheinlichkeit davon Wind bekommen. Laut Berichten von Tierschutzorganisationen werden Tausende herumstreunender Katzen und Hunde in der Ukraine eingefangen und dann mitten auf der Straße getötet und entsorgt. Durch einen „Fußball-Boykott“ soll dagegen protestiert werden.

Dieser ethische Protest ist selbstverständlich lobenswert. Aber wenn es um die grausame Behandlung von Tieren geht, müsste man dann nicht auch gleich alle 34 Spieltage der deutschen Fußball-Bundesliga boykottieren? Denn obwohl es den Katzen und Hunden in Deutschland ausgesprochen gut geht, sieht es bei anderen hier lebenden Tieren um so schlimmer aus. Zum Beispiel gibt es Tausende von Kühen, die in einem Stall geboren werden, der nur aus Gitterstäben, Neonlicht und Saugmaschine besteht und dort ihr ganzes (ziemlich kurzes) Leben eingepfercht werden. Das einzige Mal, wo sie die Sonne zu Gesicht bekommen, ist auf dem Weg vom Stall zum LKW und vom LKW zum Schlachthof. Was ihnen und anderen Millionen von Tieren wie Kälbern, Schweinen und Hühnern dort passiert, wollen wir hier nicht weiter ausführen.

Wenn man einen durchschnittlich gebildeten deutschen Bürger oder einen Politiker fragt, wie sich dieser Widerspruch denn vereinbaren lässt, wird man erstmal erstaunt angeschaut, nach dem Motto „Was soll überhaupt diese Frage?“ und bekommt dann Antworten wie „ist doch klar, das eine sind Haustiere und das andere sind Nutztiere“ zu hören.

Doch, Moment!

Interessanterweise sagt man in der englischen Sprache nicht „Haustiere“, sondern „Pets“, also „Streicheltiere“. Das heißt mit anderen Worten, weil ich das eine Tier streicheln möchte, darf es leben, und weil ich das andere Tier zum Verzehr „benutzen“ möchte, fahre ich es zum Schlachthof. Oder anders ausgedrückt, weil das eine Tier gut auf meinem Sofa passt, dass andere aber nicht, entscheide ich hier über ihr Schicksal – das Schicksal über Versklavung, Leben und Tod.

Erinnert uns das nicht an alte Gladiatorenfilme? Nachdem ein armer Gladiator in einer Arena mutig gekämpft und alle seine Gegner getötet hat (zwangsweise versteht sich), blicken alle Stadionbesucher gespannt in Richtung Kaiser, der auf einer Ehrentribüne in einem Prunksessel Platz genommen hat. Sollte dem Imperator der Kampf gefallen haben, hebt er seinen Daumen nach oben, und der Gladiator wird von seiner Sklaverei befreit. Sollte dem Kaiser das Spektakel jedoch nicht sonderlich zugesagt haben, kann es passieren, dass er seinen Daumen nach unten zeigt. In diesem Fall werden hungrige Löwen aus Käfigen herausgelassen, die den erschöpften Kämpfer in wenigen Minuten auseinander reißen. Es gab auch einige „beliebte“ Kaiser, die hin und wieder den Stadion-Pöbel abstimmen ließen. Zeigten im Publikum mehr Daumen nach unten als nach oben, war das Schicksal des Sklaven besiegelt.

Eine Regierung, die willkürlich über das Schicksal ihrer Untertanen entscheidet, wird von den alten griechischen Philosophen als die schlimmste aller Herrschaftsformen betrachtet, nämlich als die Tyrannei. Hierbei ist die Bevölkerung hilflos den Launen ihres Herrschers ausgesetzt. Von Diktatoren wie Mao und Stalin sagt man zum Beispiel, sie hätten völlig willkürlich irgendwelche Minister und Leibärzte töten lassen. Ein falsches Wort oder ein falscher Blick waren bereits ausreichend.

Unsere heutige Gesellschaft sollte sich ernsthaft fragen, ob sie nicht ebenfalls ein solches Tyrannenbewusstsein angenommen hat. Es gibt keine philosophische oder ethische Begründung, warum man das eine Tier zum Familienmitglied erklärt und das andere bloß als eine Produktionseinheit. Stellt man eingeschworenen Fleischessern eine solche Frage, antworten sie in ihrer Argumentationslosigkeit schnell mit Sätzen wie „weil es mir eben schmeckt“. Diese scheinbar entspannte Antwort ist im höchsten Maße grausam und egoistisch. Als Vergleich pflegten die klassischen Tyrannen ihre gefühlskalten und blutrünstigen Entscheidungen mit „weil es mir so gefällt“ zu begründen.

Falls es also überhaupt einen Unterschied zwischen sogenannten Haus- und Nutztieren gibt, wo zieht der Mensch die genaue Linie? Darf er einfach selbst entscheiden, wann ein Tier zum Streicheln und wann ein Tier zum Töten geeignet ist? Zeigt man dem Deutschen ein paar Fotos von einer Hundeschlachterei in Peking, ist er zutiefst empört; Bilder von einem deutschen Schlachtbetrieb lassen ihn dagegen völlig kalt.

Bei solchen Reaktionen entsteht fast der Eindruck, Hunde und Katzen hätten etwas, was Kühen und Schweinen vorenthalten ist – eine Seele. Doch wenn Hunde und Katzen eine Seele haben – von dem die meisten aller deutschen Hunde- und Katzenhalter überzeugt sind – , warum haben dann Kühe, Schweine und Hühner keine? Hier herrscht offensichtlich große Verwirrung oder schlichtweg Dummheit – oder eben pures grausames Tyrannenbewusstsein.

Es gab Zeiten, da haben Menschen, die sich für die „weiße Herrenrasse“ hielten, verkündet, dass Schwarze, Indianer und andere Völker keine Seele hätten. Mit dieser Begründung war es den weißen Herren erlaubt, andere Rassen zu versklaven, zu töten und sogar auszurotten. Heute wird ein solcher Rassismus in westlich-freiheitlichen Ländern scharf verurteilt und sogar strafrechtlich verfolgt.

Die demütigen Weisen sehen mit dem Auge der Veden

Aber, wer weiß? Vielleicht wird es in 200 Jahren eine Gesellschaft geben, welche die heutige als die von grausamen „Speziesisten“ bezeichnet, also als Menschen, die ihre eigene Lebensart zum grausamen Tyrannen über alle anderen Spezies erhoben hat. Vielleicht wird man einen solchen Speziesismus in 200 Jahren genauso scharf verurteilen, wie man heute den Rassismus zurückweist.

Was die Jahrtausende alte Philosophie der Bhagavad-gita betrifft, so achtet diese die Seele in allen Lebewesen, nicht nur innerhalb einer Rasse oder einer Spezies.

vidya-vinaya-sampane
brahmane gavi hastini
suni caiva sva-pake ca
panditah sama-darsinah

„Die demütigen Weisen sehen Kraft wahren Wissens einen edlen und gelehrten Brahmanen, eine Kuh, einen Elefanten, einen Hund sowie einen Hundeesser alle mit gleicher Sicht.“ (Bg. 5.18)

Aber zurück zum Fußball. Wäre es nicht besser, sich die Fußball-EM fröhlich im Garten anzuschauen und dabei vegetarische Würstchen zu grillen als diesen Wettkampf mit einem Schnitzel auf der Gabel zu boykottieren und dabei zu denken, man hätte jetzt etwas Glorreiches für den Tierschutz getan?

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Bilder: © Gour-Ni-Times / ParamARTma, Bhaktivedanta Book Trust

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Category: Diverses, Politik, Shiva & Param, Straight Talk

Kommentare (2)

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  1. Shiva & Param Shiva & Param sagt:

    Wie gleich zu Anfang gesagt, ist diese Aktion an sich lobenswert, wenn auch aus unserer Sicht unzureichend und oberflächlich, weil sie sich unterschwellig wiedermal nur auf eine Tierart beschränkt, nämlich auf die, die wir im Allgemeinen „niedlich“ finden. Trotzdem ist jeder Schritt in die richtige Richtung ein guter Schritt!

  2. Dhara sagt:

    Ein ganz toller Text, bringt es auf den Punkt.
    Weiter so und vielen Dank!

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