Gehirn eingeschaltet lassen

Offenes Geburtstagsschreiben an Srila Prabhupada 2017

| 17. August 2017 | 0 Kommentare

SP-VP-2017Es folgt unsere Vyāsa-pūjā-Opferung 2017, die wir jedes Jahr zum Erscheinungstag Srila Prabhupadas (* 1. September 1896 in Kalkutta, Indien; † 14. November 1977 in Vrindavan, Indien) verfassen.

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Lieber Śrila Prabhupāda,

nama oṁ viṣṇu-pādāya kṛṣṇa-preṣṭhāya bhū-tale
śrīmate bhaktivedānta-svāmin iti nāmine
namas te sārasvate deve gaura-vāṇī-pracāriṇe
nirviśeṣa-śūnyavādi-pāścātya-deśa-tāriṇe

manchmal hatte ich in meinem spirituellen Leben den Eindruck, ich bräuchte mein eigenes Gehirn nicht mehr einschalten, sondern einfach immer nur in der Vedabase nachschauen, um zu sehen, was du zu bestimmten Themen gesagt hast. Ich bräuchte dann diesen Standpunkt einfach nur zu meinen eigenen machen und die Angelegenheit hätte sich erledigt. Meine Verantwortung für jede gezogene Schlussfolgerung könnte ich auf diese Weise einfach auf dich, auf Śrila Prabhupāda, übertragen. Mit fortschreitender Zeit wird mir aber zunehmend klar, dass es oftmals genau andersherum läuft: Je mehr ich mich mit der Philosophie des Krishna-Bewusstseins und mit deinen zahllosen Aussagen beschäftige, desto mehr sehe ich mich gezwungen sehe, meine eigene Intelligenz zu benutzen, um zu vernünftigen Schlussfolgerungen zu kommen. Diese Erkenntnis ist sicher nicht gerade bequem und noch weniger geeignet, um sich vor Verantwortung zu entziehen. Doch wenn ich über diese Feststellung tiefer nachdenke, werde ich eher inspiriert und meine Wertschätzung für dich und das Krishna-Bewusstsein insgesamt nimmt um ein Vielfaches zu. Es wäre doch traurig, wenn die Mitglieder der ISKCON nicht mehr selbstständig nachdenken bräuchten, sondern für alle Fragen einfach nur mechanisch ein passendes Zitat aus irgendeiner deiner Erläuterungen oder aus irgendeinem deiner Brief herausziehen und den Sachverhalt damit abhaken könnten.

Eine Anekdote, die ich vor vielen Jahren öfters von meinem dikṣa-guru Harikeśa (damals) Swami gehört hatte, unterstreicht diese Tatsache kaum treffender. Er erzählte wie du, Śrila Prabhupāda, im Krishna-Balaram-Tempel einmal zwei Sannyāsa-Kandidaten eingeweiht hast. Sie saßen beide links und rechts bei deinen Lotusfüßen (vielleicht knieten sie auch). Du wandtest dich zum links sitzenden und sagtest, es wäre die Pflicht eines Sannyāsis nie fest an einem Ort zu bleiben, sondern immer unterwegs zu sein und zu predigen. Dann wandtest du dich zum Kandidaten auf der rechten Seite und sagtest, es wäre die Pflicht eines Sannyāsis, fest im Tempel zu bleiben, niemals fortzugehen, und dafür zu sorgen, dass der Tempel fertiggestellt wird. So hatte es Harikeśa Prabhu öftere Male erzählt. Mit anderen Worten, innerhalb von 30 Sekunden hast du deine eigene Anweisung widersprochen. Beim näheren Hinschauen stellt man jedoch fest, dass die Philosophie des Krishna-Bewusstseins eben keine Schwarz-oder-Weiß-Angelegenheit ist, sondern dass es manchmal mehrere Dimensionen und Perspektiven gibt, die man mit seiner Intelligenz erkennen sollte.

Ein anderes Beispiel ist die Episode von der Bestrafung Aśvatthāmās, geschildert im Ersten Canto des Śrimad Bhāgavatams. Bhīma und Draupadī waren beide reine, unfehlbare Gottgeweihte. Und trotzdem hatten sie, was die Bestrafung von Aśvatthāmā betraf, zwei völlig entgegengesetzte Meinungen. Das allein ist schon bemerkenswert. Wie können zwei reine Gottgeweihte unterschiedliche Meinungen haben?! Man hätte nun erwarten können, dass Krishna sein endgültiges Urteil zu Gunsten der einen oder anderen Seite fallen würde. Doch der Höchste Herr berücksichtigte beide Standpunkte, erkannte die Berechtigung ihrer Argumente und fand zu einem Kompromiss, mit welchem alle Beteiligten am Ende zufrieden waren. Dieser Konflikt und dessen Lösung wird in deinen Bhaktivedanta-Erläuterungen einfühlsam geschildert.

Sicher gibt es Anweisungen von dir, Śrila Prabhupāda, über die es für ernsthafte Anhänger und Schüler nicht viel zu diskutieren gibt, zum Beispiel dass eingeweihte Schüler mindestens 16 Runden täglich Hare Krishna chanten und den vier regulierenden Prinzipien folgen sollen. In dieser Angelegenheit finden wir keine unterschiedlichen Aussagen, Perspektiven oder Dimensionen. Wir werden morgens auch nicht plötzlich aus einem anderen Buch wie dem Śrimad Bhāgavatam lesen, zum Beispiel aus der Bibel, dem Koran oder aus dem Herrn der Ringe. Wir werden auch nicht plötzlich eine andere Pflanze wie den Tulasi-Strauch verehren, z.B. einen Eukalyptusbaum. In allen diesen Angelegenheiten finden wir klare, eindeutige Anweisungen in den Schriften, die von dir und den vorangegangenen Acharyas als solche auch bestätigt werden. In diesem Zusammenhang erklärt Śrila Rūpa Gosvāmī am Anfang des sechsten Kapitels des Nektar der Hingabe, dass es sowohl ewige Prinzipien im Hingebungsvollen Dienst gibt, als auch zeitweilige, flexible Details, die wir als erfahrene Prediger Ort, Zeit und Umstände gemäß ändern können.

Lieber Śrila Prabhupāda, wenn man sich mit deinem Leben voller praktischer Beispiele und deinen vielen schriftlich festgehaltenen Aussagen tiefer beschäftigt, wird einem klar, dass du diesen Unterschied von ewigen Prinzipien und flexiblen Details immer berücksichtigt hast. Und auch von den erfahrenen Predigern der ISKCON erwartest du, dass sie diesen Unterschied mit seinen Feinheiten und Nuancen erkennen und diese in der Praxis beachten. An diesem Tag deiner Vyāsa-pūjā beten wir zu dir, dass wir zunehmend fähig sind, diesen Unterschied zu erkennen und in der Verbreitung des Krishna-Bewusstseins berücksichtigen.

Deine Diener vom “Gour-Ni-Times”,

Paramshreya Dasa
Shivatma Dasa

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Category: Diverses, Krishna West, Prabhupada, Shiva & Param

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