Das Geheimnis der Tulsi-Halsketten

Wert und Bedeutung des vedischen Holzschmucks

| 22. Mai 2012 | 0 Kommentare

Spiritualität sollte selbstverständlich keine äußerliche, sondern in erster Linie eine innere Angelegenheit sein. Und doch helfen uns bewusst gewählte Äußerlichkeiten darin, dass wir uns besser auf unser spirituelles Ziel besinnen können. Ein gezielt gewähltes Zeichen oder Bild kann uns an etwas wichtiges er-„innern“.

So schmücken sich religiöse Menschen bereits seit Urzeiten gerne mit heiligen Symbolen und manchmal sogar mit Reliquien aus ihrer jeweiligen spirituellen Tradition. Dieses Schmücken hat oftmals auch etwas mit einer Art Bekenntnis zu tun. Man möchte gegenüber der Außenwelt – und gleichzeitig gegenüber sich selbst – deutlich machen, dass man sich mit ganz bestimmten Idealen und einer ganz bestimmten Weltanschauung identifiziert. Ein solches äußeres Bekenntnis kann dazu führen, dass man sich immer wieder mit den Contra-Argumenten der Außenwelt auseinandersetzen muss. Auf diese Weise findet auch fortwährend eine innere Auseinandersetzung statt, die dazu führen kann, dass man in seiner Überzeugung noch mehr an Stärke gewinnt.

Selbst weniger religiöse Menschen neigen dazu, durch subtile äußere Merkmale ihre Weltsicht kundzutun. Das mag ein kleiner roter Stern oder ein Atomkraft-Nein-Danke-Anstecker am Jackenkragen oder ein Playboy-Anhänger am Handgelenk sein.

„Bekennende Christen“ erkennt man oftmals an ihrer Halskette, an der ein Jesus-Kreuz befestigt ist. Bei Juden ist es stattdessen der Davidstern. Natürlich gibt es darüber hinaus noch viele andere äußere Merkmale, an der sich viele religiöse Menschen von der Allgemeinheit herausheben. Rasierte Köpfe, Unrasierte Bärte, Schläfenlocken, Turbane, Kopftücher, Tonfarbe kreuz und quer auf der Stirn und zahllose Kleidungsbräuche machen deutlich, dass die äußere Erscheinung schon immer eng mit der inneren religiösen Einstellung in Verbindung gestanden hat.

Solche äußerlichen Kennzeichen sind, wie gesagt, nicht zwingend notwendig, sie können einem aber helfen, im spirituellen Leben noch gefestigter zu werden. Wie stark jemand auf solche äußerlichen Merkmale zurückgreifen will, muss jeder letzten Endes selbst entscheiden.

Vor ungefähr zwanzig Jahren sorgte eine New Yorker Musikgruppe namens Shelter in hunderten von amerikanischen sowie europäischen Clubs und Konzerthallen lautstark für Unruhe. Diese Band spielte knallharte Punkmusik, auch Hardcore genannt, und bediente sich auch bei den Songtexten der typischen Sprache dieses Genres, also eine sehr direkte und radikale Wortwahl. Die Mitglieder dieser Band, junge Leute in ihren frühen Zwanzigern, waren jedoch alle der Hare-Krishna-Bewegung beigetreten. Nachdem sie sich für ein paar Monate in einem ländlichen ISKCON-Ashram zurückgezogen hatten, um sich dort in stiller Meditation, dem Studium vedischer Sanskrittexte und der biologischen Landwirtschaft zu widmen, sprangen sie plötzlich wieder mit ihren verzerrten Gitarren auf die Bühne – nur diesmal mit einer anderen Botschaft: Keine Drogen, kein Alkohol, kein Fleisch und kein ausschweifendes Sexleben und darüber hinaus mit der Aufforderung, sich ernsthaft mit dem Sinn des menschlichen Daseins zu beschäftigen.

Auch Shivatma Dasa und Paramshreya Dasa, die beiden Gour-Ni-Times-Redakteure, können sich noch gut an diese Zeit erinnern.

„Häufig bauten wir auf Shelter-Konzerten einen Tapeziertisch im Eingangsbereich auf und bedeckten diesen mit Prabhupadas Büchern, Krishna-bewussten Zeitschriften und Musik-CDs. Besonders gefragt waren die Tulsi-Halsketten. Fast jeder Shelter-Fan trug eine solche Halskette aus dem heiligen Tulsiholz, ja, die gesamte Hardcore-Szene der Neunziger Jahre schien diese Halsketten zu tragen. Die meisten Leute hatten natürlich keine Ahnung, was es mit diesem Halsschmuck auf sich hatte.“

Auch heute fragen sich viele Menschen, warum Krishna-Leute ständig mit diesen sonderbaren Halsketten anzutreffen sind. Durch Zufall fiel uns vor ein paar Tagen eine uralte Zeitschrift namens „Kalpa Vrikscha“ in die Hände, besser gesagt, ein so genanntes „Fanzine“, also eine günstig produzierte Broschüre – meist in Schwarz-Weiß – , die auf Musikveranstaltungen großzügig an Fans verteilt wird. Diese „Kalpa-Vrikscha“-Broschüre wurde in den Neunziger Jahren von dem in Berlin lebenden Gottgeweihten namens Amara Prabhu Dasan herausgebracht. Beim nostalgischen Durchblättern entdeckten wir auf Seite 5 einen Artikel über die Bedeutung der Tulsi-Halsketten, der, abgesehen von ein paar geschichtsbedingten Details der neunziger Jahre, an Aktualität nichts verloren hat, weil sich dieser schwerpunktmäßig auf Zitate verschiedener vedischer Schriften beruft. Hier der ungekürzte Abdruck erstmalig online:

 

Amara Prabhu Dasan aus Berlin, der sich mittlerweile als vedischer Priester bundesweit einen Namen gemacht hat

Tulsi-Halsketten

Bedeutung und Wert der vedischen Holzketten

von AMARA PRABHU DASAN

Es ist schon fast unmöglich geworden, auf Hardcore-Konzerte zu gehen und nicht die Holzkettchen, die mehrfach um den Hals gewickelt werden (auch als „Krishna Beads“ bekannt), anzutreffen. In verschiedenen Farben und in den schönsten Ausführungen (klein, dick, länglich, kurz/lang etc.) werden sie als Halsschmuck getragen. Auch wurde dies schon als Hand- und Fußschmuck gesichtet, ja sogar schon als Portemonnaie-Kette, was aber wohl den eigentlichen Zweck dieser Ketten eher entfremdet. Und sogar die Modedesignfirma „H&M“ hat sich darin versucht, eigene „Krishna Beads“ herzustellen und an den Mann/die Frau zu bringen.

 

Tulsi-Devi, die heilige Pflanze, die Krishna sehr lieb ist

„Na, aber was hat es denn auf sich, mit diesen komischen Holzketten?“ werdet ihr euch fragen. Gibt es dafür eine richtige Bedeutung? Und wo kommen sie her? Dies will ich jetzt in diesem Artikel alles versuchen zu erklären. Wie schon eingehend behandelt, haben sich diese Kettchen, oder „Krishna Beads“, als eines der HC-Moden* der 90iger etabliert und werden von Bands (Shelter, 108, Downset, Snapcase, Cro Mags, Into Another undundund…) wie auch von Fans geschätzt und getragen. Aber genauer betrachtet, weiß eigentlich kaum jemand etwas über die Bedeutung dieser Ketten. Sie sind einfach nur schön.

Okay, aber wenn es da auch eine Bedeutung und sogar Hochachtung gegenüber diesen far-outen Holzketten gibt, steigert dies doch ihren Wert ungemein, nicht wahr?! Also diese „Krishna Beads“ oder auch Tulsi-Ketten werden von dem heiligen Strauch, der Tulsi-Pflanze, in Indien von Hand hergestellt. Die Pflanze steht im direktem Zusammenhang mit der Verehrung Sri Krishnas, und wird erst nach dem Ableben der Pflanze zu einer Gebets-Meditationskette (in Sanskrit „Japamala“ genannt) oder Halskette (In Sanskrit „Kanthi Mala“ genannt) umgebaut. Nun, warum gerade dieser komische heilige Strauch? Was ist so besonders an ihm? Jetzt aber wird es esoterisch, oder besser gesagt „far-out“.

 

Srila Prabhupada, der Gründer der Hare-Krishna-Bewegung (ISKCON), machte die Tulsi-Halsketten weltweit bekannt und trug sie ebenfalls persönlich um den Hals

Tulsi gilt als eine der heiligsten Pflanzen der Erde. Sie ist schon seit Millionen von Jahren auf diesem Planeten ansässig (wurde sogar in uralten Gesteinsablagerungen gefunden) und gehört zu einem der ältesten Kulte der Erdengeschichte, dem Bhakti-Kult. Ihre Blätter werden für die rituelle Verehrung für Gott/Krishna in Indien benutzt. In Tibet gilt sie als Heilmittel der Schamanen und in Nepal wird Tulsi als Zaubermittel angewendet. Für den Vaishnava (dem Geweihten Sri Krishnas) ist Tulsi nicht nur ein heiliger Strauch, sondern er verbindet Tulsi direkt mit seinem Herrn, Krishna. Man kann Unmengen von vedischer Literatur über Tulsi-Devi (sie wird hier als Devi, als Göttin angesprochen) finden, die beweisen, dass die Verehrung Tulsi-Devis schon einige tausende Jahre alt ist.

Im Skanda-Purana (eine der vedischen Schriften) heißt es über Tulsi:

„Laßt mich meine achtungsvollen Ehrerbietungen dem Tulsi-Strauch erweisen, der augenblicklich große Mengen sündhafter Handlungen auszulöschen vermag. Wenn man diesen Strauch nur sieht oder berührt, kann man von allen Leiden und Krankheiten befreit werden. Wenn man dem Tulsi-Strauch nur Ehrerbietungen darbringt und ihn mit Wasser begießt, kann man von der Angst frei werden, zum Gericht Yamarajas (des Königs des Todes, der die Sündhaften bestraft) geschickt zu werden“.

Aus der letzten Zeile konnten wir entnehmen, daß Tulsi auch im Totenkult Anwendung gefunden hat. Tulsi schützt vor negativen Einflüssen feinstofflicher Wesen wie zum Beispiel Geister, sie stärkt unser mentales geistiges Bewusstsein, und sie gilt als transformierende (hinübertragende) Pflanze für den Sterbenden, der sich auf dem Weg in die nichtmaterielle spirituelle Welt befindet.

Da Tulsi durch ihre spirituelle Kraft einen Menschen beschützt, der diese Pflanze verehrt, der eine Tulsi-Halsketten zum Zeitpunkt des Todes trägt, oder sich irgendwie an sie erinnert, kann ein solcher Mensch nicht in das Königreich des Todes hinabgetragen werden, sondern bekommt die Möglichkeit, weiterhin auf dem Pfad der spirituellen Erleuchtung Fortschritt zu machen, oder sogar in das ewige Reich Gottes einzugehen. Sie wird dem Sterbenden zu trinken gegeben und dem Toten mit in das Grab gelegt. Auch heißt es weiter im Skanda-Purana:

„Personen (….) , die auf ihren Körper überall die heiligen Namen des Herrn schreiben und um den Hals und auf der Brust Tulsi-Perlen tragen, werden niemals von den Yamadutas belästigt!“

Eine junge Geweihte Krishnas, die sich mit einer Tulsi-Kette geschmückt hat

Eine junge Gottgeweihte, die sich mit einer Tulsi-Halskette geschmückt hat

„Oje!“ werdet ihr jetzt sagen, „alles nur Aberglaube!“ Doch Medizin wirkt, auch ohne Glauben an die Medizin. Eines sollten wir nämlich beachten: Tulsi verlässt schnell ihren Besitzer (also ihren Träger), wenn dieser fahrlässig die Gesetze der Natur/Krishnas bricht. Das heißt, wenn jemand keinen Wert auf Ehrlichkeit, Demut, Aufrichtigkeit, Mitleid und tugendhaftes menschliches Verhalten legt (also sich nicht von Berauschung, Fleischgenuss, überschwänglicher Sexualität und Glücksspiel fernhält), macht sich Tulsi auf und davon.

Trotz alledem, allein dadurch, dass man Tulsi am Körper trägt und auf diese Weise andere Menschen die Tulsi-Halsketten sehen, wird der Verstand angeregt, an Krishna zu denken, und so wird Stufe für Stufe das spirituelle Bewusstsein wiedererweckt. So dienen die Tulsi-Beads zwei verschiedenen Zwecken: Sie erinnern uns an unsere Verpflichtung gegenüber unserem spirituellen Leben und sie beschützen uns auf verschiedenste Art und Weise.

 

Chandrashekkhar Dasa, ein Geweihter Krishnas und angehender Ph.D. aus Kalifornien, trägt eine Tulsi-Halskette

Es gibt noch so viele Dinge, die man über die Tulsi-Pflanze berichten könnte, da sie eine solch große Persönlichkeit und eine solch innige Freundin Sri Krishnas ist, ich möchte es aber hierbei belassen, da mir für weitere Ausführungen die notwendige Qualifikation fehlt. Trotz alledem hoffe ich, dass ihr jetzt ein bisschen mehr über die Tulsi-Halsketten Bescheid wisst und vielleicht des Öfteren anderen Menschen erklären könnt, warum ihr diesen besonderen Tulsi-Holschmuck tragt.

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– Aus dem „Kalpa Vrikscha # 5“, erschienen im Jahre 1996  – Vielen Dank an Haladhara Dasa fürs Abtippen und Digitalisieren des Originaltextes!

 

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Fußnoten:

HC = Hardcore, eine Musikströmung des Punk, man könnte sagen, das Urgestein dieses Genres

Shelter in Concert, featuring Ray Cappo aka Raghunath Dasa

Gitarrist John Porcelly aka Paramananda Dasa

„Stage Diving“, man lässt sich von der Bühne in die wilde Meute fallen und wird aufgefangen. Meistens.

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Fotos – Quellen: myspace.com/eternalshelter/, Amara Prabhu Dasan’s und Chandrashekhara’s Facebook, iskcon-photos.com, Bhaktivedanta Archive, GNT-Archiv 

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Category: Amaraprabhu Dasa, Autoren, Fragen & Antworten, Shiva & Param, Straight Talk

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