Wird Weihnachten unterm Tannenbaum entschieden?

Wie wir Religion nicht mehr praktizieren, sondern konsumieren

| 24. Dezember 2012 | 2 Kommentare
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© Photo by SPENNYBURNS

Die Glocken läuten, die Engel singen! Ja, es ist Weihnachten! Und wie wir alle wissen, wird dieses Fest unterm Tannenbaum entschieden! So hat es uns jedenfalls ein großer Elektro-Fachmarkt auf unzähligen Werbeplakaten erklärt. Laut dieser Firma kommt es nicht darauf an, ob wir Heiligabend in die Kirche gehen, ob wir Weihnachtslieder singen, Gebete oder Gedichte vortragen, ob wir aus der Bibel lesen oder uns daran erinnern, was vor 2012 Jahren genau passiert ist. Nein, das alles ist nicht wichtig. Wichtig ist, ob du das neue iPhone, die neue X-Box oder die neue Nespresso-Maschine unter dem Tannenbaum herausziehst. Das allein entscheidet, ob es ein richtiges Weihnachtsfest gewesen ist!

Einige von uns können sich noch erinnern: Vor 23 Jahren, genauer gesagt, seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, ist eine Jahrzehnte lange Grundsatzdiskussion zum Stillstand gekommen. Sollen wir nach der Philosophie des Kapitalismus leben oder besser nach der des Kommunismus? Jede zweite Stammtischrunde und jede dritte Talkshow drehte sich damals um diese Debatte. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks schien sich die letzte philosophische Diskussion von selbst erledigt zu haben. Die kommunistische Idee war gescheitert. Alle mussten einsehen, dass der Kapitalismus die natürliche Gesellschaftsform für die Zukunft sein würde. Und was bedeutet Kapitalismus ganz praktisch? Ja, ganz genau! Wir sollen möglichst viel konsumieren, also noch mehr Autos, noch mehr Produkte, noch mehr Ressourcen – größer, weiter, schneller! Nur so kann die Wirtschaft weiter wachsen, noch weiter wachsen und noch weiter wachsen. Und das alles wird uns schließlich glücklich machen und unser Leben erfüllen, so die Idee dahinter. Ich konsumiere, also bin ich!

Wir leben also nicht mehr in der Ära des Kalten Krieges, in der man sich noch über verschiedene Gesellschaftsmodelle gestritten hat. Wir leben auch nicht mehr in der philosophischen Epoche der Renaissance, der Aufklärung oder der Neuzeit. Nein, seit 20 Jahren wird zunehmend deutlich, dass wir bewusst oder ahnungslos in eine neue philosophische Ära eingetreten sind. Diese neue Periode wird mit großer Wahrscheinlichkeit als die Epoche des KONSUMISMUS in die Geschichte eingehen. Denn noch nie wurde in der Geschichte der Menschheit so viel konsumiert wie heute. Und das bezieht sich nicht nur auf Autos, elektronische Geräte oder 278 verschiedene Joghurt-Produkte im Kühlregal. Nein, es wird schlichtweg ALLES konsumiert. Wir forschen zum Beispiel nicht mehr nach Wahrheit, nein, wir konsumieren Informationen! Man sagt, dass der heutige Mensch in einer Woche so viel Informationen aufnimmt, wie ein Mensch im 18. Jahrhundert während seines gesamten Lebens!

Aber was bringt all dieses Wissen dem heutigen Menschen? Ist er der Wahrheit durch die Verarbeitung tausender von Daten näher gekommen? Überschüttet er seine Aufnahmekapazitäten nicht einfach nur mit unwichtigen Nachrichten und Meldungen? Geht das, worauf es wirklich ankommt, nicht völlig unter in dieser unglaublichen Informationsflut? Ist der moderne Mensch wirklich weiser, vernünftiger und erleuchteter geworden?

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“Ein tief religiöses Ereignis wurde langsam zu einem groß angelegten Konsum-Event umgestaltet.” © Photo by Anahid Simitian

Aber darum geht es bei der heutigen Philosophie des Konsumismus auch gar nicht. Entscheidend ist, ob du möglichst viel Wissen konsumierst – dann hast du das Lebensziel erreicht. Mit anderen Worten: Um Wahrheit geht es nicht, denn das Konsumieren ist ja bereits die Wahrheit.

Das Erstaunliche ist, selbst vor der Religion macht diese Philosophie des Konsumismus nicht halt! Auch dort durchdringt sie mittlerweile unser Leben. Auf Deutsch heißt das, es ist nicht so wichtig, ob du nach einer Religion lebst und ob es dafür gute oder weniger gute Argumente gibt. Nein, wichtig ist nur, ob du deine Religion gut konsumieren kannst.

Manchmal wird man gefragt, welcher Religion man angehöre. Wenn man dann sagt, ich bin ein Katholik / Lutheraner / Muslim / Hare Krishna / usw., hört man neuerdings Reaktionen wie „Nun, wenn du dich mit deiner Religion wohl fühlst, wird sie für dich schon richtig sein.“ Mit anderen Worten, jede Religion und jede Philosophie – egal was – ist richtig und wahr, vorausgesetzt, dass du sie gut konsumieren kannst. Auf diese Weise werden heute Religionen bewertet, nämlich wie groß der Wellnesseffekt ist. Zu einer philosophischen Diskussion, ob die jeweilige Religion vernünftige Argumente vorzuweisen hat, kommt es heute nur noch selten. Wie Parfum oder Zahnpasta sind all die verschiedenen religiösen Vorstellungen und Philosophien nur noch ein paar weitere Verbraucherangebote im Supermarkt des Konsumismus. Das kann man beim wichtigsten christlichen Feiertag ganz klar erkennen: Ein tief religiöses Ereignis wurde langsam zu einem groß angelegten Konsum-Event umgestaltet.

Seit einigen Wochen macht sich ein weiteres, bisher unbekanntes Phänomen, wie Religion konsumiert wird, in zahlreichen deutschen Städten breit: Es ist das so genannte „Holi“, ein hinduistisches Fest, bei welchem sich die Teilnehmer freudig mit Farbpulver bewerfen. Die ursprüngliche theologische Bedeutung ist den meisten Leuten völlig unbekannt und wahrscheinlich auch ziemlich egal, Hauptsache es lässt sich gut „abfeiern“. Dass dieses Fest ursprünglich ein transzendentales Vergnügen zwischen Krishna und Seinen Geweihten gewesen ist, wissen selbst heute viele Inder nicht mehr.

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Der Gründer-Acharya der Internationalen Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein (ISKCON), Sri Srimad A.C.Bhaktivedanta Swami Prabhupada (1896-1977)

Durch den Konsumismus verlieren die Menschen den wahren Inhalt ihrer Religion immer weiter aus den Augen, seien sie nun Christen, Juden, Muslime, Buddhisten oder Hindus. Die Internationale Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein (ISKCON) wurde von A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada gegründet, um den wahren Kern von Religion wieder in den Vordergrund zu stellen. Prabhupada ging es in seiner Mission nicht um Bekehrung, also dass man von einer Religion zu einer anderen übertrete. Er betonte, er sei nicht mit der Absicht in den Westen gekommen, um Christen, Juden oder Moslems zum Hinduismus zu konvertieren, sondern er wolle aus Hindus bessere Hindus, aus Christen bessere Christen, aus Juden bessere Juden und aus Muslime bessere Muslime machen. Solche Aussagen gibt es viele:

„Es geht uns nicht um Hindus, Christen oder Muslime. […] Warum sollte ein Christ zu einem Hindu werden oder ein Hindu zu einem Christen? Es geht vielmehr darum, wer Gott ist, was Er ist, was unsere Beziehung zu Ihm ist. Darum geht es in dieser Bewegung für Krishna-Bewusstsein.“

(Srila Prabhupada am 6. November 1972 in Vrindavan, Indien)

Was uns, das Team von Gour-Ni-Times betrifft, so halten wir diese Aussagen Prabhupadas nicht bloß für eine Strategie, um Medien oder Kirchenvertreter zu beruhigen, sondern wir nehmen sie für bare Münze. Der Kern in all diesen religiösen Traditionen sollte echtes Gottesbewusstsein sein. Ohne Gottesbewusstsein haben alle christlichen, islamischen oder jüdischen Rituale und Feierlichkeiten keinen Wert. Die in Deutschland geborenen Mitglieder der ISKCON sollten deshalb ihren abendländisch-christlichen Background nicht leugnen, sondern diesen stattdessen verstärkt mit dem Gottes-, oder genauer gesagt, mit dem Krishna-Bewusstsein in Verbindung bringen. Deshalb gibt es auch keinen Grund, seine westliche Kleidung gegen indische Gewänder auszutauschen, wie manchmal irrtümlicherweise geglaubt wird.

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Die Bhagavad-gita, das wichtigste Buch des Krishna-Bewusstseins, in einer neuen Auflage

Die Vorstellung, wir könnten Gott und Religion konsumieren, ist ein völlig falscher Ansatz. In der Bhagavad-gita wird Krishna als Purushottama, als der höchste Genießer, bezeichnet.

bhoktāraṁ yajña-tapasāṁ
sarva-loka-maheśvaram
suhṛdaṁ sarva-bhūtānāṁ
jñātvā māṁ śāntim ṛcchati

„Diejenigen, die sich darüber bewusst sind, dass Ich der höchste Nutznießer aller Opfer und Entsagungen, der Höchste Herr über alle Planeten und Halbgötter, sowie der Wohltäter und wohlmeinende Freund aller Lebewesen bin, erlangt Frieden von den Qualen des materiellen Daseins.“ (Bhagavad-gita 5.29)

Solange wir denken, wir seien die Genießer und Konsumenten, und Gott und Religion wären einfach nur eine weitere Möglichkeit, unseren Konsum zu vergrößern, werden wir niemals wahren Frieden in unserem Herzen erfahren.

Wirkliches Gottesbewusstsein bedeutet, Gott als den höchsten Genießer und Konsumenten anzuerkennen. Er ist nicht dafür da, unsere Wünsche zufrieden zu stellen, sondern es ist genau umgekehrt. Wir sollten uns vielmehr fragen, wie wir die Wünsche Gottes zufrieden stellen können. Das Mystische an der Sache ist: Wenn wir Gott zufrieden stellen, werden auch wir automatisch zufrieden. Dieses mystische Prinzip wird im Srimad-Bhagavatam (4.31.14) bestätigt:

yathā taror mūla-niṣecanena
tṛpyanti tat-skandha-bhujopaśākhāḥ
prāṇopahārāc ca yathendriyāṇāṁ
tathaiva sarvārhaṇam acyutejyā

Dort wird das Beispiel von einem Baum gegeben. Wenn sich jedes einzelne Blatt selbst versucht zu bewässern, ohne der Wurzel des Baumes Wasser zukommen zu lassen, werden die Blätter schon bald austrocknen und absterben. Wenn aber das Wasser direkt auf die Wurzel gegossen wird, bekommen auch alle Zweige und Blätter daraus den vollsten Nutzen. Ein weiteres Beispiel sind unsere Finger an der Hand. Wenn unsere Finger das Essen selbst aufnehmen wollen, ohne die Nahrung dem Mund und somit dem Magen zuzuführen, werden unsere Finger bald schwach werden und schließlich sterben. Stellen wir uns einmal vor, wie wir mit unseren Fingern Brot betasten mit der Hoffnung, dass sie davon satt werden! Wenn unsere Hand die Nahrung aber zum Mund und somit zum Magen führt, wird die Hand mit ihren Fingern automatisch mit voller Energie versorgt.

Der Irrtum, dass Blätter und Finger ohne Wurzel und Magen zufrieden und glücklich werden können, kommt in der heutigen Philosophie des Konsumismus in seiner ganzen Tragweite zum Ausdruck. Wir sehen es bereits an den Namen vieler Konsumprodukte, dass sich heute alles um die individuelle Befriedigung dreht. iPhone, iTunes, MySpace, YouTube , „Unterm Strich zähl ich“ (Postbank) oder „Weil ich es mir wert bin“ (L’Oreal) sind nichts anderes als Manifestationen des Konsumismus. Ich konsumiere, also bin ich. Weise und Intelligente Menschen verstehen jedoch, dass uns dieses Bewusstsein niemals glücklich machen kann. Diese Philosophie ist nichts anderes, als der vergebliche Versuch eines winzigen Funken, welcher aus einem großen Feuer gesprungen ist, ohne die Kraft des großen Feuers sein Leuchten zu erhalten. Der Funke kann nur weiter leuchten, wenn er so dicht wie möglich am großen Feuer bleibt. Dieses Feuer ist Krishna.

Deshalb laden wir auch Christen, Juden, Buddhisten und Muslime herzlich ein, sich mit der Philosophie des Krishna-Bewusstseins unvoreingenommen zu beschäftigen und die Veranstaltungen der ISKCON-Zentren zu besuchen. Unser Anliegen ist es, alle gläubigen Menschen in ihrer Praxis zu ermutigen und zu bestärken! Krishna-Bewusstsein ist eine echte Wissenschaft und eine tief durchdachte Philosophie.

In diesem Sinne Frohe und besinnliche Weihnachten!

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Category: Diverses, Interreligiös, Krishna und die Welt, Politik, Shiva & Param

Kommentare (2)

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  1. Sven sagt:

    Kurz und bündig: „Auf den Punkt gebracht“. Diese Meinung habe ich schon lange. Weihnachten ist zu einem Fest für Konsumenten „verkommen“. Von der eigentlichen, spirituellen Natur dieses Festes will heute kaum noch einer was wissen. Sehr wahrscheinlich ist, dass der ein oder andere tatsächlich nicht weiß warum Weihnachten gefeiert wird. Heute fragen sich die meisten Menschen nur: „Was werde ich wohl bekommen“? Oder: „Was soll ich bloß schenken“? Ein „Geschenk des Herzens“ ist unter den Abermillionen von Präsenten wohl eher die Ausnahme. Das der Geburtstag oder der Erscheinungstag eines großen Gottgeweihten gefeiert wird, interessiert heute kaum mehr jemand. In diesem Sinne:
    FROHES FEST EUCH ALLEN!

    HARE KRISHNA

  2. Danke für den tollen Artikel. In letzter Zeit kommt mir immer wieder ein Thema ins Erscheinen. Gott-Vergessenheit. (wie der papst das auch grad erwähnt hat) Vielleicht muss ich mich auch mehr bemühen Krishna wieder Seinen Platz in meinem Leben einzuräumen. Danke für die Erinnerung daran. Lg und eine schöne Zeit für euch zwei tollen Menschen

    ys syam

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