Sripada Madhvacharya
Der bedeutende Vaishnava-Reformator
aus Südindien (13. Jhdt.)

 

Original-Übersetzung ins Deutsche
von einem der wichtigsten
Werke Madhvacharyas

Ozeanisches Gefühl der Unsterblichkeit

Neues Buch von
Thomas K. Gugler

Eine Buchrezension von SHIVATMA DASA & PARAMSHREYA DASA

In einer echten Schülernachfolge unterrichtet der Meister den Schüler in einem besonderen Fachgebiet. Irgendwann ist der Schüler so kundig in diesem Fach, dass er selbst zu einem Meister wird und eigene Schüler unterrichtet. Auf diese Weise wird das Fachwissen von Generation zu Generation weitergereicht. Dieses Herunterreichen von Wissen wird in der Sanskritsprache parampara genannt. Wenn ganze Menschengruppen oder Kulturen nach solch heruntergereichten Praktiken leben, spricht man von einer Traditionsschule oder sampradaya.

Solche Traditionsschulen oder Schülernachfolgen finden wir in allen Bereichen, in materiellen und auch in spirituellen. Künste und Wissenschaften, werden von Generation zu Generation weitergereicht, wie beispielsweise die Kunst, einen Kachelofen zu bauen, oder die Wissenschaft, sich mit Heilpflanzen auszukennen. Besonders in Indien wird seit jeher auch spirituelles Wissen durch den Kanal einer Traditionsschule weitergereicht.

Von Zeit zu Zeit muss das Fachwissen dem Wandel der Zeit entsprechend neu angepasst werden, damit es von der allgemeinen Bevölkerung weiter verstanden werden kann. Es muss in der Sprache des Zeitgeistes formuliert werden, aber ohne, dass dabei das Wissen verfälscht wird.

Auch kommt es hin und wieder vor, dass die Gültigkeit des Wissens von Gelehrten anderer Traditionsschulen in Frage gestellt wird. Auch dann braucht die sampradaya einen gelehrten und wortgewandten Vertreter, der die Richtigkeit ihres Wissens durch gute Argumente verteidigt.

Vor rund 700 Jahren erschien in Südindien ein solcher bedeutender Reformator, der die Gültigkeit der Vaishnava-Lehre gegenüber anderer atheistischer Philosophien behauptete. Es handelte sich hierbei um Madhva, auch Madhvacharya genannt, der zu den bedeutenden acharyas oder Meistern der Brahma-Sampradaya gehört. Die Brahma-Sampradaya ist eine Vaishnava-Schülernachfolge, die ursprünglich von Brahma, dem ersten geschaffenen Lebewesen und Architekten dieses Universums, ausgeht. Auch die Gaudiya-Vaishnava-Sampradaya, in der sich auch die ISKCON befindet, ist eng mit der Madhva-Linie verwandt. Viele philosophische Konzepte der Gaudiya-Vaishnavas stammen aus der Traditionsschule Madhvas.

Sripada Shankaracharya
war eigentlich eine Inkarnation Shivas
(Padma Purana, Uttara-Khandha 25.7)

 

Madhvas berühmten zwei Finger
stehen für seine Lehre: Dvaita (Zwei)
oder "Die Dualität zwischen
Gott und Seiner Energie"

 

In seinen Lehren attackierte Madhvacharya die damals in Indien vorherrschende Doktrin des advaita-vedanta, die von einem anderen Meister namens Shankara einige hundert Jahre zuvor über den gesamten Subkontinent verbreitet wurde.

Die Kernlehre von Shankaras atheistischer advaita-vedanta- Doktrin besagt, dass alles, was wir in dieser Welt wahrnehmen, letztlich Illusion sei, und dass man diese Illusion überwinden müsse, um Befreiung aus dem Kreislauf von Geburt und Tod zu erlangen. Wenn man durch das intensive Studium der Veden und durch ein entsagungsvolles Leben erkannt habe, dass alles in dieser Welt nichts anderes als Illusion sei, könne man mit dem alldurchdringenden, formlosen und spirituellen Brahman verschmelzen. In diesem Brahman würden sich alle Unterschiede, Formen, Persönlichkeiten, Gefühle und Wünsche völlig aufheben. Auch würde sich die Vorstellung, dass es eine eigene Identität und einen höchsten Gott gäbe, ganz und gar auflösen.

Shankara (788-820 CE) beruft sich bei dieser Doktrin auf Aussagen der Veden, die er aber auf seine eigene Weise interpretiert. In wenigen Jahrzehnten verbreitet sich diese Lehre in ganz Indien, und so gibt es nur noch wenige Menschen, die der reinen Vaishnava-Lehre folgen. Die noch übrig gebliebenen Vaishnavas haben nicht die intellektuelle Stärke, um die geschickten Wortspiele Shankaras zu widerlegen. Erst mit Ramanuja im Elften Jahrhundert und dann mit Madhva im Dreizehnten Jahrhundert erscheinen intellektuelle und charismatische Persönlichkeiten, die Shankara in seiner Gelehrsamkeit und Rhetorik das Wasser reichen können.

Thomas K. Gugler, der auch hin und wieder Zentren der ISKCON besucht, hat es sich im Rahmen seiner akademischen Forschung zur Aufgabe gemacht, einen tieferen Einblick in das Leben, in die Kultur und besonders in die Lehren Madhvacharyas zu gewinnen. Während mehrerer Indienreisen besuchte Gugler heilige Stätten wie Udupi, an denen sich Madhva vor rund 700 Jahren aufgehalten hat. Udupi ist der zentrale Ort von Madhvacharyas Wirken. Er gründete dort mehrere Klöster mit Schulen und Bibliotheken und verehrte dort auch eine Altargestalt Krishnas, die er zuvor in einem großen Lehmbrocken gefunden hatte. Allein in 40 Büchern stellt Madhvacharya seine Doktrin des dvaita vor, in der die Lehre Shankaras mit starken Argumenten widerlegt wird.

Udupi: Bibliothek mit
Palmblatt-Manuskripten

 

Udupi: Klosterschule bereitet Kinder
auf das Priesteramt vor

 

Advaita bedeutet Eins und dvaita Zwei. Während Shankara behauptet, alles Existierende sei letztendlich eine homogene Substanz (advaita), in der es keinen Unterschied zwischen Gott und Seinen von Ihm ausgehenden Energien gäbe, sagt Madhva, dass alles vielmehr Zwei (dvaita) sei, also dass ewig ein Unterschied zwischen Gott und seinen Energien besteht. Während Shankara sagt, dass Gott und das Lebewesen eins seien, sagt Madhva, dass es sich bei Gott und dem Lebewesen um zwei getrennte Wesen handle. In seinen Werken stellt Madhva den Anhängern Shankaras unangenehme philosophische Fragen, die sie bis heute nicht beantworten können. Zum Beispiel fragt er, wie das göttliche und unfehlbare Brahman in Illusion fallen könne. Oder er fragt, warum nicht alle Lebewesen erleuchtet würden, sobald ein einziges erleuchtet wird, da ja laut Shankara nichts voneinander verschieden sei. Bis heute sind die Anhänger Shankaras nicht in der Lage solche und ähnliche Fragen schlüssig zu beantworten.

Es gibt aber auch Bücher Madhvas, in denen es nicht so sehr um philosophisches Argumentieren geht, sondern um die alltägliche spirituelle Praxis eines ernsthaften Vaishnavas. Eines dieser Bücher hat der Sanskritgelehrte Gugler genauer unter die Lupe genommen und mit akribischer Sorgfalt ins Deutsche übersetzt. Es ist der so genannte Krishnamritamaharnava oder zu Deutsch das "Ozeanische Gefühl der Unsterblichkeit". Die von Gugler herausgebrachte Fassung besteht zur Hälfte aus

dem tatsächlichen Sanskritwerk mit deutscher Übersetzung und zur anderen Hälfte aus Hintergrundinformationen, einmal zum übersetzten Stoff und des weiteren zur Person Madhvas. Man erfährt also auch einiges über Madhvas Leben, seine Lehren und seine einzelnen Bücher, die der Reformator im Verlaufe seines Lebens verfasst hat. In einem Kapitel werden beispielsweise alle bedeutenden 40 Schriften Madhvas je einzeln zusammengefasst, so dass man sich ein Bild machen kann, mit welchen Themen sich der sampradaya-acharya genau beschäftigt hat und wie groß die Spannweite seiner Gelehrsamkeit gewesen sein muss.

Die eigentlichen Verse des Krishnamritamaharnava behandeln auch für ISKCON-Mitglieder interessante Themen wie die Macht des heiligen Namens, den Segen, den man durch das Betrachten der Altargestalt bekommt, die Bedeutung des ekadasi- Fastentages, der von ernsthaften Vaishnavas rund alle zwei Wochen eingehalten wird, und die Wirkung des tilaka-Zeichens, welches sich die Vaishnavas aus Gangeslehm auf die Stirn malen.

Auch Freunde der Astrologie, insbesondere der vedischen Astrologie, werden mit Guglers Buch ihre Freude haben. Madhva beschreibt im Detail, wann das Fasten an

Udupi: Diese Altargestalt Krishnas
wurde von Madhvacharya in einem
riesigen Ganges-Lehmbrocken gefunden.

einem ekadasi -Tag und wann das Fasten erst am darauf folgenden Tag, dem so genannten dvadasi- Tag eingehalten werden muss. Dabei geht er minutengenau auf das Verstreichen astrologischer Zeitphasen ein und beschreibt dabei die günstige und ungünstige Wirkung solcher Phasen.

Wer sich für Madhvas Krishnamritamaharnava von Thomas K. Gugler interessiert, muss sich allerdings auf eine ziemlich akademische Sprache einstellen. Es handelt sich bei Guglers Werk um eine religionswissenschaftliche Arbeit, in der nahezu alle Inhalte mit Quellenangeben vermerkt sind. Gugler hat in den verschiedenen Klosterbibliotheken Udupis unterschiedliche Manuskripte aufgestöbert und sie pedantisch miteinander verglichen, wie es für einen echten Wissenschaftler der Standard ist. Dabei ist ihm aufgefallen, dass es einige Verse gibt, die leicht vom Text anderer Manuskripte abweichen. Der Leser wird in zahlreichen Fußnoten auf solche Unterschiede aufmerksam gemacht. Auch tauchen im gesamten Werk ein paar wenige Verse auf, die für Laien der Vaishnava-Philosophie zu Missverständnisse führen könnten. Ihnen wird geraten, vorher oder parallel die Bhagavad-gita von Sri Srimad A.C.Bhaktivedanta Swami Prabhupada zu lesen.

Fazit: Wer sich die wissenschaftliche Wortwahl gefallen lassen möchte, findet in Thomas K. Guglers Krishnamritamaharnava ein interessantes Dokument an originaler Vaishnava-Literatur, verfasst von einem der bedeutendsten religiösen Reformatoren der letzten 1000 Jahre.

* * *

Wer sich näher für Thomas K. Gugler und sein Buch interessiert, findet hier weitere interessante Links:

http://www.zmo.de/Mitarbeiter/Gugler/

http://www.amazon.de/Ozeanisches-Gef%C3%BChl-Unsterblichkeit-Krishnamritamaharnava-Sanskrittext/dp/3825811409

Außerdem findet man hier weitere Bilder von Guglers Indienreise nach Udupi:

http://picasaweb.google.de/thomas.gugler/MadhvaInUdipi#

http://picasaweb.google.de/thomas.gugler/BangaloreUdipi#

Udupi: Kloster der Madhva-Sampradaya

 

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