Drei Lehrmeister aus der Natur

Erstmalige Übersetzungen aus dem Elften Canto

| 9. Februar 2019 | 1 Kommentar

Eleventh Canto Part 1Die Geschichte von Piṅgalā und den neun Lehrmeistern (Gurus) der Natur finden wir im achten Kapitel des Elften Canto des Srimad-Bhagavatams. Paramshreya Dasa und Bhaktin Birgitt präsentieren hiermit erstmalig eine Übersetzung zusammen mit einem eigenen Vaishnava-Kommentar.

Im Originaltext der Kapitelzusammenfassung heißt es:

Lord Krishna erzählt Seinem hingegebenen Geweihten Uddhava wie der avadhūta brāhmaṇa dem Maharaja Yadu die Unterweisungen erklärt, die er von den Neun Gurus der Natur erhalten hat.

Bevor wir mit dem Originaltext weiter fortfahren, wer ist Uddhava? Er ist ein sehr hingegebener Geweihter Sri Krishnas. Ja, er ist so hingegeben, dass er die Hauttönung Krishnas angenommen hat und der Höchsten Persönlichkeit Gottes so ähnlich sieht, dass er manchmal auch Krishnas Zwilling genannt wird.

Was ist ein avadhūta brāhmaṇa? Kurz gesagt, jemand, der frei von jeder Bindung und Abneigung ist. Gemeint sind insbesondere vānaprasthas (Zurückgezogene) und sannyāsis (Entsagende), die ihrer Umgebung kaum noch Beachtung schenken und sich um die relativen Bedürfnisse des Lebens keine Sorgen mehr machen.

Ein brāhmaṇa ist ein Priester und Gelehrter.

Zurück zum Text:

1. Die Python: Der Unterricht, den der avadhūta brāhmaṇa von der Python (Riesenschlange) erhielt, besagt, dass eine intelligente Person eine Geisteshaltung der Loslösung entwickeln sollte und seinen materiellen Körper mit dem erhalten sollte, was aus eigenem Antrieb von alleine zu ihm kommt, also mit dem, was sehr leicht erhältlich ist. [Z.B. ein Apfel fällt ganz alleine vom Baum.] Auf diese Weise sollte er immer in der Verehrung der Höchsten Persönlichkeit Gottes, Sri Krishna, vertieft bleiben.

Sogar wenn keine Nahrung erhältlich ist, sollte die Person, die sich nichts anderes mehr wünscht als voll und ganz in der Verehrung Krishnas aufzugehen, um nichts betteln; besser gesagt, er sollte dies als eine Einrichtung der göttlichen Vorsehung betrachten, indem er denkt: Was auch immer an Freude und Genuss für mich bestimmt ist, wird automatisch zu mir kommen, und so sollte ich meine mir noch verbleibende Lebenszeit nicht unnötigerweise in Sorge über solche Dinge vergeuden.“

Wenn er keine Nahrung erhält, sollte er einfach liegen bleiben wie eine Pythonschlange und geduldig seinen Geist in die Meditation über den Höchsten Gott vertiefen. Die Python ist in Indien als ein Geschöpf bekannt, dass keine Vorkehrungen trifft, um an Nahrung zu gelangen, sondern lieber darauf wartet, dass das entsprechende Essen von alleine zu ihr kommt. Die Friedlichkeit und Geduld, die dies verlangt, sind Qualitäten, die Heilige Persönlichkeiten verkörpern und Novizen der spirituellen Praxis entwickeln sollten.

Paramshreya Dasa kommentiert:

Das ist sicherlich ein ziemlich radikaler Lebensstil, nur solche Dinge zu akzeptieren, die aus eigenem Antrieb zu einem kommen. Der Gedanke dahinter ist, dass wir uns zunehmend von der Höchsten Persönlichkeit Gottes, Krishna, abhängig machen sollten, anstatt immer alles selbst in unserem Leben kontrollieren zu wollen.

Gewöhnlich versuchen wir Menschen alles in unserem Leben unter Kontrolle zu haben: z.B. unseren Verdienst und das, was wir essen. Wir treffen hierfür große Vorkehrungen. Aber in dieser Geschichte erleben wir einen avadhūta brāhmaṇa, der den Lebensstil einer Python angenommen hat, die keinerlei Vorkehrungen zur Versorgung unternimmt. Wenn keine Nahrung in Form von kleinen Tierchen vorbeikommt, fastet sie. Und dennoch ist bekannt, dass eine Python ein sehr hohes Lebensalter erreicht. Auch menschliche Lebewesen können bis zu einem gewissen Grad solch einen Lebensstil annehmen und die freie Zeit für die Verehrung der Höchsten Persönlichkeit Gottes verwenden. Krishna wird für diesen Geweihten sorgen.

Srila Prabhupada sagte hierzu, dass die meisten Tiere keine Essensvorräte in Lagern deponieren. Wir Menschen haben dagegen große Vorratsräume in unseren Häusern angelegt für Reis, Getreide, Früchte, Gemüse usw. Wir gehen mit großen Einkaufswägen einkaufen und denken, wir können mit Essensvorräten zwei, drei oder sogar sechs Monate vorsorgen, falls mal Geschäfte geschlossen sein sollten. Manche haben sich Lager für ein halbes Jahr angelegt, andere für drei oder sogar fünf Jahre. Tiere nehmen in der Regel nur das, was sie für einen Tag benötigen. Am nächsten Tag schauen sie erneut, ob sie etwas zu essen bekommen. Obwohl Tiere nach diesem Prinzip leben, ist für ihre Nahrung stets vorgesorgt.

Srila Prabhupada weist darauf hin, dass wenn sogar für gewöhnliche Tiere Vorsorge getroffen wird, sollte dann die Höchste Persönlichkeit Gottes nicht auch für Seinen ernsthaften Geweihten genügend Nahrung bereitstellen?

Damit ist gemeint, dass man nur so viel zu sich nehmen sollte, um Körper und Seele zusammenzuhalten. Und falls es doch einmal nichts zu essen gibt, sollte sich der Gottgeweihte wie eine Python verhalten. Die verbleibende Zeit sollte er für hingebungsvollen Dienst verwenden, anstatt diese wertvolle Zeit mit Sorgenwälzen und Grübeln verstreichen zu lassen. Dies ist aber nur möglich, wenn wir den höheren Geschmack gekostet haben, den wir durch hingebungsvollen Dienst zu Krishna erreichen. Durch diese Verbindung mit Krishna können wir die Wünsche nach materieller Sinnenbefriedigung reduzieren oder sogar ganz beseitigen.

2. Der Ozean: Die Unterweisung, die der avadhūta brāhmaṇa vom Ozean erhielt, ist, dass der Geist des Heiligen, der der Höchsten Persönlichkeit Gottes hingegeben ist, sehr klar und tiefgründig ist, ähnlich wie das stille tiefe Ozeanwasser. Der Ozean fließt während der Regenzeit nicht über, wenn alle überfluteten Flüsse ihre Wasser in ihn einströmen lassen, noch trocknet er während der heißen Saison aus, wenn die Flüsse nachlassen ihm Wasser zuzuführen.

In ähnlicher Weise wird der Heilige (sādhu) nicht von Freude überwältigt, wenn er angenehme Dinge erhält, noch gerät er in Sorge, wenn sie ausbleiben. Kurz gefasst: Ein heiliger Mensch, der eine Quelle praktisch umgesetzten Wissens ist, wird niemals gestört – er ist immer und unter allen Umständen ausgeglichen wie der stille Ozean.

Paramshreya Dasa kommentiert dazu:

Hier ist ein weiterer Guru. Der erste war die Pythonriesenschlange, jetzt lernen wir vom zweiten Guru, dem Ozean. Dieser wird verglichen mit einem weisen Heiligen, sādhu, dessen Geist immer sehr ausgeglichen ist. Bei einem ausgeglichenen sādhu mögen im Geiste Wünsche auftreten, ähnlich wie bei uns. Manchmal werden wir mit Wünschen konfrontiert, materielle Wünsche nach diesen oder jenen Dingen, oder auch sexuelle Wünsche – aber der Heilige wird davon nicht gestört. Er weiß, sie kommen und gehen. Und der Ozean hat dieselbe Mentalität. Der Ozean weiß, dass während der Regenzeit das Wasser von den überfluteten Flüssen zu ihm strömt, aber er bleibt ausbalanciert, er tritt nicht über seine Ufer. Wenn wir während der Regenzeit mit einem Flugzeug über den Ozean fliegen, sehen wir, dass der Ozean immer derselbe ist, ganz wie zu anderen Jahreszeiten. Andererseits, in der Trockensaison wie zum Beispiel in Indien oder Afrika, dort kann es sehr trocken werden und die Flüsse führen nicht viel Wasser, aber im Ozean gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass sein Wasser deswegen weniger wird oder jemals austrocknen könnte. Und genau das können wir vom Ozean lernen: Es mögen so viele Dinge kommen und gehen, einströmen und wieder wegfließen, aber der Ozean bleibt stabil, ruht in sich selbst. Das sollten auch wir versuchen zu erreichen. Jede Minute, den ganzen Tag über, kommen Tausende von Gedanken und Wünsche, aber wir sollten wissen, sie gehen auch wieder. Folglich, warum sollten wir uns unnötig um all diese Wünsche und Gedanken kümmern?  Das ist die Botschaft des Ozeans.

3. Die Motte: Die Belehrung, die der Weise von der Motte erhielt, ist, dass sie vom Feuerschein angelockt wird und dann im Feuer ihr Leben aufgibt. Das gleicht einem Narren, der seine materiellen Sinne nicht unter Kontrolle hat und von der weiblichen Form, dekoriert mit Goldschmuck und aufreizender Kleidung, bezaubert wird. Auf diese Weise den Verkörperungen der göttlichen illusionierenden Energie hinterherhetzend, verliert er vorzeitig sein Leben und fällt hinunter in die schrecklichste Hölle

Paramshreya Dasa kommentiert:

Hier hören wir von dem dritten Guru, der Motte. Die Motte ist ein Nachtfalter, deren Larven sich gerne von Wollkleidung in unseren Schränken ernähren und diese durchlöchern. Motten sind auch bekannt dafür, dass sie gerne zum Licht fliegen. Wenn es Nachts dunkel ist, können wir bei genauerer Betrachtung einer leuchtenden Straßenlaterne beobachten, wie Scharen von Motten um das Licht fliegen und dann irgendwann an der heißen Lampe festkleben und jämmerlich verbrennen. Früher gab es noch Fackeln und Lampen mit offenem Feuer, und die Motten waren so stark angezogen, dass sie das Risiko im Feuer zu verbrennen auf sich nahmen und direkt in die Flammen hinein flogen. Es ist sehr leidvoll im Feuer zu verbrennen.

In den Veden wird beschrieben, dass die männlich und weiblich verkörperten Seelen in der materiellen Welt immer von der äußeren illusionierenden Energie Gottes angezogen werden. Diese äußere Energie wird mahāmāyā genannt.

In unserer ursprünglichen spirituellen Position werden wir von der inneren illusionierenden Energie Gottes, yogamāyā genannt, bedeckt. Diese spirituelle Bedeckung ist erwünscht. Sie ist für die befreite Seele völlig natürlich.

Aber in der materiellen Welt fühlen wir uns automatisch von der äußeren illusionierenden Energie Gottes, mahāmāyā, angezogen. Das Ergebnis unseres ständigen Hinterherrennens der mahāmāyā  ist, dass wir der ständigen Wiederholung von Geburt, Alter, Krankheit und Tod unterworfen sind.

Wir befinden uns somit ständig auf der materiellen Ebene und versuchen unablässig unsere materiellen Sinne zu befriedigen. Zum Zeitpunkt des Todes ist es uns demnach nicht möglich, an Krishna denken, und auf diese Weise nehmen wir wieder Geburt, um erneut unsere Sinne zu befriedigen. Somit müssen wir immer wieder die Reaktionen unserer früheren Handlungen genießen und erleiden. Hiebei können wir in sehr schlimme Lebensumstände geraten. Viele wissen aus eigener Erfahrung wie entsetzlich unsere Existenz schon in diesem Leben sein kann.

Kurz: Derjenige, der die spirituelle Praxis vermeidet, wird wie ein Narr vom Liebreiz einer Frau gefangen genommen – oder eine Frau vom Charme eines Mannes – , so wie eine Motte vom Feuer gefangen wird, in dem sie letztendlich verbrennt.

Dies alles können wir von diesen Gurus der Natur lernen. Es gibt noch mehr Lehrmeister, von denen wir demnächst hören werden. Heute hatten wir die Gurus: Python, Ozean und Motte.

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Entnommen aus einer von bisher 23 englischsprachigen Live-Video-Vorlesungen:

 

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Category: Shiva & Param, Vedische Klassiker

Kommentare (1)

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  1. Eine wirklich wunderbare Geschichte.

    „Jedes Blatt am Baum ist dem Blick des Weisen // eines Buches Blatt, Gottes Macht zu preisen.“ — Saadí persischer Dichter und Mystiker 1210 – 1291

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